Nachgefragt und im Speziellen (Edathy, Putin, Sarrazin, AfD, Wulff, Seehofer, BKA)

10 März 2014
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Sage mir, was sie über dich sagen, und ich sage dir, wer du bist

Na bitte. Haben wir es endlich hinter uns, das große Wulff-Theater, bei dem sich jeder bemüßigt fühlte, als Regisseur Anweisungen bezüglich Moral zu geben oder zumindest als Regieassistent gackernd Maulaffen feil zu halten. Der letzte Vorhang ist gefallen und Wulff will wieder als Anwalt arbeiten (was eine gewisse Ironie in sich birgt, wo er sich selber so wenig hat verteidigen können). Man schreibt von seiner „geretteten Ehre“. Was er davon hat? Na ja. Eine positive Titelzeile, ein positives Foto und vielleicht (kurz) das Gefühl, dass die Welt wieder sein Freund sein will. Was freilich ein Schmarren ist, weil sich statt der Ehrenfigur Wulff die Wulffhetze viel stärker in die Köpfe der Theatermacher und -besucher eingebrannt hat.

Er hat seine Rolle bekommen, gespielt und eine andere gibt man ihm nicht mehr. „Irgendwas wird da schon dran gewesen sein“, vernimmt man an so manchen Tresen. „Sonst wäre er doch noch Bundespräsident. Man macht keinen fertig, wenn er nix getan hat.“ O doch, aber wie. Bereits auf den Schulhöfen. Das will allerdings keiner gerne wahrhaben, weil sich jeder in der Sicherheit wähnt, ihm könne eine ungerechtfertigte Kampagne zur Demontage von Ruf und Leben niemals widerfahren.

Die Teilzeitmoralapostel haben Hochkonjunktur. Jeder meint, sich über andere eine Meinung bilden und erheben zu dürfen. Obwohl die meisten das überhaupt nicht können, weil sie nur nachplappern, was die Journaille schreibt. Wenn in einem mäßigen Boulevard-Blättchen steht, wie ungemein sich die Genossenschaft um bezahlbaren Wohnungsbau verdient macht, rufen alle: „Hurra! München wird wieder bewohnbar! Her mit dem Lorbeerkranz!“ Dabei vergessen sie anscheinend, dass man den Antrag auf eine solche Wohnung wahrscheinlich für seine Enkel stellt, da frühestens in zehn bis fünfzehn Jahren eine solche „bezahlbare“ Wohnung frei wird. Bis dahin muss man sich halt günstig irgendwo anders einmieten, etwa Unter der Donnersberger Brücke 1 – 23. c1c4052727544f3ba831e05e6f3fb5e1

Es mutet sowieso befremdlich an, warum Politiker Vorbilder sein müssen. Wenn sie tatsächlich bessere Menschen, „Gutmenschen“ wären, wären sie keine Politiker sondern ehrenamtliche Helfer bei der Caritas oder gleich Heilige.

Freilich ist der Konsum von Kinderpornographie zu bestrafen, weil damit die Grenzen des gesunden menschlichen Verhaltens und des Vertrages zwischen den Menschen und Generationen überschritten werden. Aber warum darf ein Spitzenbeamter vom BKA noch ein Jahr lang auf seinem Posten hocken (nämlich in der Abteilung „Schwere und Organisierte Kriminalität“), bevor sein Chef ihn von dort stillschweigend entfernt, obwohl bekannt war, dass er sich Kinderpornographie von jener kanadischen Firma liefern hat lassen, die auch den Edathy bedient haben soll? Währenddessen treibt man SPD, CSU und Edathy wie die Sau durchs Dorf.

Wie gesagt, Strafe und Konsequenzen haben ihre Richtigkeit, falls die Pornographie- und Stillepostvorwürfe ihre Richtigkeit haben - aber warum muss man denn eine solche Show daraus machen? Warum muss der CSU-Mensch Friedrich wegen einem SPD-Menschen seinen Hut nehmen? Und warum wirft man dem Edathy vor, vorschriftswidrig NSU-Unterlagen bei sich Daheim gebunkert zu haben (was dieser als bloßen „Unfug“ bezeichnet, es seien lediglich Unterlagen für ein Buchprojekt gewesen)? Vielleicht ist es Unfug. Vielleicht hat er aber gebunkert, etwa damit die Unterlagen nicht geschreddert werden? Und wenn das so ist: Was weiß er noch in Sachen NSU, das niemand wissen soll? Die ganze Sache riecht übel.

Darüber nachzudenken ist allerdings viel weniger angenehm und amüsant als sich anzuhören, wie der Seehofer den Gabriel als altes Waschweib aufgrund von „Geschwätzigkeit“ darstellt. Der Gabriel ist daraufhin so beleidigt, dass er bloß noch über seinen Sprecher mit Seehofer und der Welt kommuniziert – vielleicht auch, um den Vorwurf der „Geschwätzigkeit“ zu widerlegen. Und natürlich schweigt sich Mutti Merkel aus.

Weiterhin kann man sich schön über den Sarrazin unterhalten, aufregen oder gar mit seinem Gedankengut sympathisieren. Da ist alles drin, bei der sarrazinischen Propaganda à la: „Multikulti-Freaks blenden Blutrache und Christenverfolgung aus“. Dabei ignoriert die Masse gerne, wie sehr die intolerante, nationale Denke wieder salonfähig geworden ist. Sarrazin wettert in seinem neuen Buch „Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“ gegen den „Gleichheitswahn“ in unserer Gesellschaft, der unter anderem von „linken“ Medien befeuert werde. Das ist einerseits lachhaft, andererseits gefährlich und gruselig, da diese Art von Hetze gegen den angeblich fortschreitenden Sozialismus/Kommunismus, der allerdings immer gescheitert sei, erst einmal völlig unkritisch von der Öffentlichkeit aufgenommen wird.

Genauso die Parolen der AfD. Die Mitglieder dieser Partei sprechen immer deutlicher und lauter aus, was für ein Geist bei ihnen im Kopf umgeht. Beatrix von Storch, die Europawahl-Kandidatin des Berliner Landesverbands der AfD, spricht doch tatsächlich öffentlich von einer „Schwulen-Lobby“ und deren „Macht“. AfD-Landessprecher Bernd Kölmel behauptet gar, dass „die Regierung“ eine „pädagogische, moralische und ideologische Umerziehungskampagne“ plane. Sicherlich, dazu hat die Regierung ja allen Grund, gell.

Die Bundesregierung besteht nämlich seit jeher aus triebgesteuerten Hippies, die stets nur das dem Kapitalismus zuträglichen Kleinbürgertum stürzen wollen. In der AfD-Basis schaut es freilich noch düsterer aus; hier setzen die Mitglieder Homosexualität mit „Perversion“ und „Pädophelie“ gleich. Ergo müsste doch auch Edathy schwul sein? Ledig ist er auf jeden Fall, was verdächtig ist und auch in jenes propagierte Muster der AfD passt, dass Ehe und Familie in diesem unserem Lande immer mehr „zersetzt“ würden, wie unlängst der eifrige Bernd Lucke warnte.

Hier gilt ebenfalls: salonfähig. Alles fein. Denn das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen. Ja, ja, darf man – und trotzdem lässt der Sarrazin sein Gezeter über die Meinungsmache, Unfreiheit und Gleichschaltung vom Stapel. Das ist eine unfassbare, idiotensichere Ideologiemaschine. Im Übrigen ist es eben der aufdoktrinierten Vorstellung der kleinbürgerlichen Familie geschuldet, dass ganze Stadtteile zu monokulturellen Wohnghettos verkommen, wo sich kein Leben mehr außerhalb von Kita, Chai-Latte und Überstunden zwecks Karriere abspielt. Jedoch suggeriert man uns seit Jahrzehnten wieder fleißig die Rollenmuster.

Dafür gibt es allein zwei verschiedene Ü-Eier: Spielerfrau und Weltmeister. Monströse Verdummung zum Kaufen. Mit Klischeebarbie und -horst in jedem siebten Ei. - Was der Supermarktprospekt überdies als „verschiedene Sorten“ deklariert. Wo doch Scheiße Scheiße bleibt, auch wenn man sie rosa anmalt. Doch die Eltern kaufen, die Kinder lernen und Feministinnen gelten längst als Witzfiguren, als hässliche, unbefriedigte Matronen, mit ordentlich Busch auf den Zähnen. Was für Männer ebenso unangenehme Folgen hat, da sich diese ergo als charakterschwache Höhlenmachos gerieren müssen, die nur schlechte Witze und Fleisch auf der Pfanne haben.

Hinsichtlich des Konflikts Russland vs. Ukraine sehen wir uns ebenfalls mit Desinformation und Ratlosigkeit konfrontiert, weil der Putin als ein brutaler Psychopath oder zumindest Soziopath gilt (der Unterschied zwischen den Pathen verwischt in der „Kleinen Küchenpsychologie“) und die Demonstranten einmal als friedlich hingestellt werden, dann wieder als unberechenbare Berserker. Vielleicht spielt man in Wahrheit Westen vs. Russland. Auf jeden Fall gibt es keinen Grund, ganz Russland als böses Land hinzustellen und „den Russen“ als weltherrschaftsgeilen Mafioso. Und, dass die vermummten Soldaten auf der Krim Russen sind, muss auch erst noch bewiesen werden.

Die Medien bringen derweil Bilder vom heroischen Obama, der 90 Minuten lang mit Putin telefoniert. Diese überstrahlen alle amerikanischen Einmärsche in Länder, wo sie nichts zu suchen haben und Öl finden. Wieso wir uns von einer ungleichen Berichterstattung einwickeln lassen, wieso wir den Worten von Merkel immer noch glauben, wieso wir uns genüsslich anschauen, wie ein Gefallener in den Medien ausgepeitscht wird? Brot und Spiele, Moral und Selbstverleugnung: die zeitlosen Renner und Opiate fürs Volk.

Ob mir das alles zurzeit den Schlaf raubt oder doch die nächsten Menschen mit Moralklopfer, vermag ich nicht zu sagen.

Vielleicht schwingt sich Wulff ja zum Anwalt der medial Vergewaltigten auf. Dann kann er womöglich seinen Nachfolger Gauck vertreten, von dem sich die NPD (!) beleidigt fühlt, weil er „Spinner“ gesagt hat. Wobei er niemals explizit die NPD in Zusammenhang mit „Spinner“ gebracht hat. Na ja, jeder entscheidet selbst, wann er sich beleidigt fühlt. Derzeit entscheidet jedenfalls schon mal das Bundesverfassungsgericht, ob ein Bundespräsident Spinner als Spinner bezeichnen darf, ergo, wie viel Redefreiheit ein Bundespräsident hat.

Vielleicht kommt der Tag, an dem die AfD für ihre Ausbrüche verklagt und therapiert werden kann, jemand, der sich gegen ausländerfeindliche Umtriebe ausspricht, aber nicht mehr. Vielleicht kommt aber auch der Tag, an dem man Menschen wegen „Tugendterror“ verklagen kann. Und therapieren.

Hoffentlich bin ich dann bereits im Land, wo die Zitronen blühen.

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